
Blake Hartley wird seit den Morgenstunden des 8. August 2004 vermisst; zwei Tage nach seinem 25. Geburtstag, während seiner ersten Nacht in Chamonix, Frankreich. Er verschwand spurlos.
Blake war zu einem Abenteuertraining unterwegs, dessen Leiter er war. Er war der einzige mit einer Bergführerausbildung und verfügte über eine umfangreiche Ausbildung.
Am 6. August machten sich neun Offiziersanwärter der Sandhurst Military Academy von England aus in drei Autos auf den Weg. Sie übernachteten in St. Omer, Nordfrankreich, um Blakes Geburtstag zu feiern. Am folgenden Tag setzten sie ihre Reise fort und kamen nachmittags in Chamonix an. Ihre Zelte stellten Sie auf dem Campingplatz "Ile des Barrats" auf, tranken ein Bier und machten sich dann auf in die Stadt zum Abendessen.
Auf dem knappen Kilometer in die Stadt überquerten sie einen der vielen Zuflüsse der L'Arve. Blake warnte die anderen vor dem gefährlichen Fluss. Er hat sommers wie winters nur 3 bis 5 Grad, da er Schmelzwasser von den Bergen des Mont Blanc-Massivs führt. Es ist ein respekteinflößender Fluss, dessen eisige Kälte man spüren kann und der eine reißende Strömung hat. Der Schwemmsand gibt ihm eine trübe Farbe, was das Wasser praktisch undurchsichtig macht.
Im vorigen Jahr war Blake mit drei Begleitern vier Monate in Chamonix zum Riverrafting gewesen. Sie hatten damals auch geübt, das Boot zu verlassen und zu trainieren, was zu tun ist, wenn man in den Fluss fällt. Blake wusste also genau, welche Gefahren der Fluss barg.
Die Männer aßen in der Stadt zu Abend und gingen dann in einen Nachtclub, wo sie ein paar weitere Drinks zu sich nahmen, jedoch nicht sehr viele, weil sie sehr teuer waren. Ungefähr um 2:30 Uhr in der Nacht schlug Blake vor, das Lokal zu verlassen, und alle machten sich in Zweier- oder Dreiergruppen auf den Weg. Blake ging zusammen mit einem Mitglied der Gruppe und unterhielt sich mit ihm, während sie den knappen Kilometer zurückgingen.
Sie erreichten den Campingplatz, wo Blake jedoch meinte, dass es nicht der richtige war (die Schranke war heruntergelassen, was vielleicht verwirrend war). Sein Begleiter sagte, dass es der richtige sei, folgte Blake jedoch in ein paar Metern Abstand weiter auf der Straße. Sie bogen in eine andere Straße ab, und Blake verschwand in einem Garten. Sein Begleiter folgte ihm nicht, sondern ging zur Hauptstraße am Fluss zurück, um auf Blake zu warten. Blake kam nicht zurück, und er sah ihn nicht mehr wieder. Er sah die Straße hinauf und hinunter und machte sich dann auf zum Campingplatz, um sich schlafen zu legen.
Bei der Untersuchung des Gartens am folgenden Tag gab es einige Hinweise darauf, dass Blake durch hohes Gras gegangen und über einen Zaun geklettert ist. Dann kann er hinunter auf eine Straße gesprungen sein, da die Pflanzen entsprechende Spuren aufwiesen. Danach verliert sich die Spur. Er war verschwunden.
Ab diesem Punkt gibt es mehrere Möglichkeiten. Er kann über die Straße in den Fluss gegangen sein, aber warum? Er war sich der Gefahr voll bewusst. Es ließen sich keine Spuren finden, die darauf hindeuteten, dass jemand in den Fluss gefallen war; keine Rutschspuren oder beschädigte Pflanzen. Wenn er in den Fluss gesprungen wäre, hätte er natürlich durch die Kälte des Wassers einen Herzinfarkt erleiden oder seinen Kopf anschlagen und ertrinken können. Nach umfangreichen Spurensuchen entlang des Flusses und im Fluss selbst wurde jedoch nichts gefunden, was diese Theorie stützen würde.
Als er über den Zaun gesprungen ist, könnte er gestürzt und sich eine Gehirnerschütterung zugezogen haben und dann umhergeirrt sein, aber warum hat ihn niemand gesehen? Er hatte seine Kreditkarten und sein Handy dabei, also hätte er seine Identität mit Sicherheit herausfinden können. Wurde er von einem Auto angefahren und in den Fluss geschleudert (es gab eine halbe Stunde, nachdem er zuletzt gesehen worden war, ein sehr starkes Gewitter, so dass die Sichtbedingungen sehr schlecht waren)? Wenn es so war, muss sich jemand darüber bewusst sein, dass er in dieser Nacht etwas angefahren hat, und warum wurde die Person bzw. die Personen dann nicht ausfindig gemacht? Hat ihm vielleicht jemand etwas in den Drink getan, und hat er den Campingplatz deshalb nicht erkannt? Fragen über Fragen, aber keine Antworten.
Mein Mann (Blakes Stiefvater) und ich erhielten die Nachricht am Sonntagabend und entschieden uns sofort, so schnell wie möglich nach Chamonix zu fliegen. Wir kamen am Montagnachmittag an und gingen sofort zur Gendarmerie, wo ich eine Aussage machte. Dann trafen wir die anderen Mitglieder der Gruppe und den Mann, der Blake zuletzt gesehen hatte, um die Ereignisse des Vortages zu besprechen. Am darauffolgenden Tag trafen Blakes Freunde in Chamonix ein, um bei der Suche zu helfen. Es kamen alle Vier, die im letzten Jahr mit ihm dort waren, Phil, Chris, Adam und James. Außerdem kamen Freunde von der Universität, Andy, Tom und Tim, und zwei seiner Cousins, Henry und Tom. Sie hatten ihre Arbeitsplätze verlassen und das erste Flugzeug genommen, um zu helfen, denn sie sagten, dass Blake für sie ebenso gehandelt hätte.
In den nächsten Tagen beteiligten sich alle an der Suche an den Flussufern und in der Umgebung, zusammen mit der Polizei, den Mitgliedern der Gruppe, sowie dem Cambridge OTC und dem Search and Rescue-Team der RAF, das zufällig auch in Chamonix war. Der Kontakt wurde hergestellt, weil jemand in England in den Nachrichten einen Bericht gehört hatte und das Team in Chamonix angerufen und um Kontaktaufnahme gebeten hatte.
Bewohner der Campingplätze boten ebenfalls ihre Hilfe an, aber es stand nur eine begrenzte Anzahl an Gendarmen zur Verfügung, die die Suchtrupps anführen konnten. Einer der besonders schlimmen Momente der Suche kam, als ich einen DNA-Test machen musste, damit die Gendarmerie sie mit Blakes DNA vergleichen konnte, die sie über seine Zahnbürste ermittelt hatten. In diesem Moment wurde mir zum ersten Mal richtig klar, mit was wir im schlimmsten Fall rechnen mussten.
Die Suche im Gelände gestaltete sich sehr schwierig wegen der Felsen, des dichten Unterholzes und der teilweise sehr steilen Uferböschungen sowie wegen eines Steinbruches an einer Stelle. Wir brachten uns oft selbst in Gefahr, besonders bei der Suche unterhalb des Dammes, wo wir uns nicht aufhalten sollten, wie uns eingeschärft wurde. Der Damm (ungefähr 6,5 km stromabwärts von der Stelle, an der Blake zuletzt gesehen worden war) konnte sich jederzeit automatisch öffnen. Immer wenn der Wasserdruck eine bestimmte Höhe erreicht hat, lässt der Damm eine Flutwelle hinunter in den Fluss ab, aber alle suchten verzweifelt nach irgendeinem Hinweis oder Anhaltspunkt.
Die Personen, die schon im letzten Jahr in Chamonix gewesen waren, suchten all Wege und Orte ab, die sie im letzten Jahr besucht hatten.
Immer wieder flogen Hubschrauber im Tiefflug den Fluss hinauf und hinunter, während die Suchenden in den offenen Türen saßen und den Piloten von Zeit zu Zeit anwiesen, noch tiefer zu gehen, um zu prüfen, ob es sich bei einem Objekt am Boden vielleicht um Blake handelte. Dabei blieb mir jedes Mal fast das Herz stehen.
Zweimal suchten Taucher den Fluss an den Stellen ab, an denen sie gefahrlos tauchen konnten, aber sie fanden nichts. Sie bezeichneten dies als ungewöhnlich, weil sich bei anderen Flussopfern normalerweise ein Schuh oder ein Stück Kleidung vom Körper losreißt.
Spürhunde (speziell ausgebildet, um Leichen aufzuspüren) suchten das Gelände sowie den Damm ab, aber es fand sich keine einzige Spur von Blake.
Die französischen Versorgungsbehörden konnten sogar dazu bewegt werden, einen Teil des Wassers aus dem Damm abzulassen (der Damm gehört zu einem Wasserkraftwerk). Dies geschah in einer Nacht, und einige der Suchenden standen mit Scheinwerfern drei Stunden lang im strömenden Regen, um alles zu prüfen, was aus dem Damm herausgespült wurde. Sie haben nichts Verdächtiges gesehen.
Auch die Umgebung des Campingplatzes wurde immer und immer wieder abgesucht, und die Suchtrupps gingen von Tür zu Tür und befragten alle möglichen Personen. Wir sahen in jeder abgeschlossenen Garage, jedem Schuppen und jedem Holzlager nach, wo sich ein Mensch möglicherweise aufhalten konnte. Der Leiter der RAF-Bergrettung sagte uns, dass eine vermisste Person meist im Radius einiger Kilometer vom letzten bekannten Aufenthaltsort gefunden wird.
Die Special Investigation Branch (S.I.B. – Army "Red Caps") traf aus Deutschland ein, um zu prüfen, ob vielleicht ein Verbrechen vorliegt. Sie befragten die Mitglieder der Gruppe sehr eingehend, z. B. danach, wo sein Handy zuletzt verwendet worden war und wen er am Samstag angerufen hatte. Sie durchsuchten Blakes Zimmer in Sandhurst und prüften alle Bankkonten darauf, ob seine Kredit- oder Bankkarten nach seinem Verschwinden genutzt worden waren. Sie prüften nicht nur seine Ausrüstung, sondern auch die Laptops, Computer und Kameras der anderen Teilnehmer der Reise.
Am Donnerstag nach dem Verschwinden fuhr ich zusammen mit dem Polizeichef von Chamonix, dem Kommandeur von Sandhurst, dem Militärattaché der Britischen Botschaft in Lyon und unserem hervorragenden Dolmetscher (einem der Reiseteilnehmer) nach Bonneville, um den örtlichen Vertreter des französischen Staatspräsidenten zu treffen. Es sollte besprochen werden, wie die Suche bisher verlaufen war und welche Schritte als Nächstes unternommen werden konnten. Mir wurde schnell klar, dass dies der Tag war, an dem der intensive Teil der Suche eingestellt werden sollte. Ich weiß, dass niemand wirklich aufgab, Blake zu finden, aber das Gefühl kam doch in mir auf, obwohl ich in meinem Herzen wusste, dass alles Menschenmögliche - und mehr - getan worden war. Wir hätten am nächsten Tag nicht nach Hause fahren können, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre. Es stellte jedoch eine ungeheure Kraftanstrengung und Überwindung dar, abzureisen, ohne Blake gefunden zu haben.
Sogar im 52 Kilometer entfernten Bonneville hatte jeder von Blake gehört (die Unterrichtung der Presse war auf jeden Fall erfolgreich gewesen), und als wir ankamen, begrüßte uns der Bürgermeister der Stadt, um uns "Bon courage!" zu wünschen. Viele Personen aus der Umgebung nahmen während dieser Zeit auf diese Weise Anteil. Die Freundlichkeit und Sympathie, die wir dort von den unterschiedlichsten Seiten erfahren haben, war überwältigend und hat uns sehr bewegt. Wenn positives Denken ihn hätte finden können, wäre er längst gefunden worden.
Es erscheint zwar möglich, dass Blake in den Fluss gegangen ist, aber es ist sehr unwahrscheinlich. Wo kann er also sein?
Wir haben den Vorfall in allen möglichen Medien bekannt gemacht, Handzettel in Chamonix und Umgebung verteilt, im ganzen Tal. Wenn er also mit Gedächtnisverlust umherirrt, warum wurde er dann nicht gesehen? Zu dieser Jahreszeit halten sich Tausende von Menschen in der Umgebung von Chamonix zum Wandern auf. Es ergibt alles keinen Sinn.
Blake ist nie ein deprimierter oder missmutiger Mensch gewesen. Er war immer gut gelaunt und trug niemandem etwas nach, wie schlecht oder unfair er auch behandelt worden sein mag. Er hat das Leben immer positiv gesehen, hatte Spaß am Leben, und war nie zornig. Er liebte das Leben, liebte die Army und kam in Sandhurst so gut voran. Er ergriff jede Möglichkeit und ging alle Situationen im Leben mit Bedacht und Rationalität an. Er wurde von so vielen Menschen geliebt und liebte sie auch. Er mochte anspruchsvolle Unterhaltungen, machte jede Party mit und hielt sich im Leben zu keiner Zeit mit der Frage "was wäre, wenn..." auf. Es scheint also unmöglich, dass er freiwillig in den Fluss gegangen ist oder seinem Leben ein Ende gesetzt hat. Wenn er in den Fluss gefallen wäre, hätte er sehr gute Chancen gehabt, wieder herauszukommen. Als gut trainierter, starker Schwimmer und Überlebensspezialist konnte er sehr gut auf sich aufpassen.
Was immer auch passiert ist, ist ein Mysterium, für dessen Lösung wir dringend Hilfe benötigen. Wir müssen ihn finden. Es ist jetzt elf Tage her.